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Digital Business

How German can culture be (when it comes to business)? About blaming and the cult of perfectionism

4
Minuten Lesezeit

Notice: This article is written in German.

Wie deutsch darf Kultur sein
Georg Bergjohann

22.4.2015 am Rednerpult des Landtags NRW: Christian Lindner schäumte vor Wut. Was war geschehen? Der Bundesvorsitzende der FDP und jetzige Finanzminister bezog Stellung zu der Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Kraft hatte in der Regierungserklärung die Bedeutung von Unternehmensgründungen betont und gleichzeitig gefordert, gescheiterte Gründer:innen nicht zu stigmatisieren. Lindner, der gerade auf die Etablierung einer Gründerkultur eingehen wollte („Hefe im Teig für die Volkswirtschaft“), wurde durch einen Zwischenruf Volker Münchows, Mitglied des Landtags für die SPD, unterbrochen: „Er (Lindner) habe ja wohl Erfahrung mit der Gründerkultur“. Münchow spielte mit spöttischem Unterton auf Lindners wirtschaftlich nicht von Erfolg gekrönte Unternehmensgründung (Moomax GmbH) Anfang der 2000er an. Lindner unterbrach daraufhin seine Stellungnahme und ging — ziemlich in Rage —  auf Münchows Zwischenruf ein: „Wenn man Erfolg hat, gerät man in das Visier der sozialdemokratischen Umverteiler und wenn man scheitert, ist man sich Spott und Häme sicher.“

Lindner ist nun selbst kein Kind von Traurigkeit und nutzt zudem — meist geschickt —  jeden noch so kleinen rhetorischen Fehler seiner Gegenspieler:innen, um sich zu profilieren. Viel wichtiger in diesem Zusammenhang (leider) noch: Es ist kein Problem einer Partei wie der SPD, dass Gründer:innen, die wirtschaftlich nicht erfolgreich waren, Hohn und Spott ausgesetzt sind und ein Scheitern-Stigma an ihnen haftet. Die Konstellation zwischen “Opfer” und “Täter” hätte auch umgekehrt oder gar ganz andere Parteien involviert sein können. Es ist vielmehr eine grundsätzliche gesellschaftliche Einstellung in Deutschland – eine Art stillschweigender Konsens – mutige Menschen, die etwas wagen, auszulachen, wenn ihr Vorhaben misslingt.

Es ist aber auch so schön einfach. Und schließlich tut diese Form der immanenten Selbstkonfimierung doch so gut, wenn das innere Ich die Frage wieder einmal aufgeworfen hat, ob man nicht selbst mal was riskieren will, man sich dann mangels fehlender Chuzpe dagegen entschieden hat – mal wieder. Zack, wenn dann einer seinen Laden gegen die Wand fährt, kann man sich stolz auf die Schulter klopfen und laut zu sich und der versoffenen Stammtischgang sagen: “Siehste, habe ich doch schon vorher gewusst.” Da gefällt mir der American Way of Life besser. In den USA gehört es fast zum guten Ton, ein paar Unternehmen in den Sand zu setzen und davon auch bereitwillig zu erzählen, während man sich in Deutschland nur in der Selbtmordhotline gewiss sein kann, keinen Spott ausgesetzt zu sein.

Nun könnte man sagen, Kulturen sind verschieden und so unterscheiden sich auch der Umgang mit und die Akzeptanz von Unternehmenspleiten in der Gesellschaft — that's it. Das wäre allerdings fatal. Ein Unternehmen zu gründen, bedeutet immer auch Risiko. Jede Geschäftsidee — mag sie auch noch so gut sein — kann aus mannigfaltigen Gründen failen. Wenn das aber nicht erlaubt ist und die „gescheiterten“ Gründer:innen Hohn und Spott ausgesetzt sind, sich rechtfertigen müssen, dann haben wir keine Gründerkultur, sondern eine Blamekultur. Folgt man dieser Logik, ist es also besser, gar nichts zu tun, als ein Vorhaben anzupacken, dessen Erfolg man im Vorfeld nicht abschätzen kann. So eine Blamekultur wird viele Menschen leider davon abhalten zu gründen. Wir benötigen also nicht (nur) eine Gründerkultur, sondern eine Kultur des akzeptierten Scheiterns.

"Nicht nur eine ausgeprägte Blamekultur erschwert Gründungen und Innovationen."

Auch ein falscher Hang zum Perfektionismus spielt hier mit ein. Es wird viel von deutscher Ingenieurskunst gesprochen. Das Siegel "Made in Germany" gilt als Qualitätsmerkmal. Beides steht für in Deutschland hergestellte Güter, die nicht einfach nur funktionieren, meist überperfomen sie (sinnlos). Sie sind schneller, leiser, kleiner, größer, griffiger, planer, eckiger, runder, weicher, härter, langlebiger, standhafter als die der Konkurrenz (Hier ein Beispiel, bei dem die ausländische Konkurrenz besser und der Firmenpatriarch ratlos ist). Die deutschen Unternehmen schaffen sich so Wettbewerbsvorteile, können höhere Preise verlangen und sind häufig Hidden Champions in ihrem Nischen-Segment. Bei ausgereiften Produkten macht diese Strategie Sinn. Völlig fehl am Platz ist ein solcher Perfektionismus allerdings bei Innovationen. Anstatt ein MVP zu entwickeln und Lean Startup-mäßig vorzugehen, scheinen viele deutsche Unternehmen auch bei Innovationsprojekten, deren Erfolg nicht garantiert ist, in einen Perfektionismus-Wahn zu verfallen. Auch hier spielt die Kultur wieder eine tragende Rolle. Die Unternehmen können sich trotz enormer Risiken (hohe Kosten bei einem Fehlschlag) nicht von ihrem perfektionistischen Ansatz trennen. Lieber wird jahrelang an einem Produkt rumentwickelt, als dass vorher mit einem MVP der Markt und seine Bedürfnisse sparsam und schnell erforscht werden. Auch hier scheint die Angst davor, etwas nicht vollkommenes erschaffen zu haben, Treiber zu sein – und die Angst davor, verspottet zu werden.

Wie so häufig: Es beginnt schon bei den Kleinen

Gleich zwei Merkmale treffen in der deutschen Kultur also aufeinander, die zumindest Gründungen und das erfolgreiche Etablieren von Innovationen erschweren. Dementsprechend reicht es nicht, wenn nur Unternehmen diese Themen aufgreifen und an der Revision ihrer Unternehmenskultur arbeiten, wie es bei einigen in den letzten fünf bis zehn Jahren angestoßen wurde. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und beginnt teilweise schon in der Kindheit: Mit Lehrer:innen, die Schüler:innen an der Tafel wegen kleiner Fehler vorführen, übermotivierten Eltern, die nicht den Einsatz ihrer Kinder honorieren, sondern rein auf die Ergebnisse schauen oder Helikopter-Muttis und -Vatis, die ein Experimentieren ihres Nachwuchses erst gar nicht zulassen. Das Problem sitzt also viel tiefer und geht weit über die Wirtschaft hinaus. Es blockiert die freie Entfaltung und Entwicklung. Grund genug also, dass ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs angestoßen wird.

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