Meine Learnings vom UXinsight Festival 2022
Die diesjährige Konferenz fand auch hybrid statt, sodass ich mit niedrigem Aufwand und geringem Corona-Risiko aus unserem Headquarter in Münster teilnehmen konnte. In diesem Beitrag teile ich drei der spannendsten Insights und Impulse.
Insight #01: Rapid Research für Teammitglieder
Amanda Gelb begann als einzige Researcherin bei Lyft (Wettbewerber von Uber) und konnte bald nicht mehr allen Research-Anfragen nachkommen. Um die spannenden Themen trotzdem bearbeiten zu können, entwarf sie ein Konzept für Rapid Research, durchgeführt von den Teams selbst. Zuerst prüfte sie die Research-Anfragen nach drei Kriterien: Dringlichkeit, Impact und inwiefern sich eine schnelle und einfache Research-Methode eignen würde. Anschließend begann Amanda damit, die Teammitglieder als Interviewer:innen zu coachen. Dafür bereitete sie ein kleines Training mit den Grundlagen der Interviewführung vor.
Tipps für die Moderation von Nutzerinterviews:
- Du führst das Interview und entscheidest, wann über was gesprochen wird
- Formuliere die Interviewfragen offen und neutral
- Zeige beim Interview die ganze Zeit über Interesse
- Probe das Interview vorher mit einer anderen Person
Die Interviews und Tests wurden von den Teammitgliedern selbst durchgeführt. Amanda unterstützte nur bei einzelnen Steps der Vor- und Nachbereitung. Zusätzlich stellte sie Templates und Checklisten bereit. Das Template “Insight Onepager” fand ich dabei besonders interessant, da es dabei hilft, die wichtigsten Insights zusammenzufassen.
Insights aus dem Onepager:
- Was sind deine Top 3 Learnings?
- Welche zwei Erkenntnisse haben dich überrascht?
- Wie haben sich deine Hypothesen (wenn überhaupt) verändert?
- Die sechs besten Nutzer-Zitate
- Drei Erkenntnisse: eine sichere Erkenntnis, eine vage Erkenntnis und eine Erkenntnis über eine Wissenslücke für zukünftige Research
Insight #02: UX Research für neurodivergente Researcher
Bei neurodivergenten Menschen werden äußere Reize im Gehirn anders verarbeitet als bei neurotypischen Menschen. Dazu gehören etwa Personen mit AD(H)S, Autismus, Tourette-Syndrom, Dyskalkulie, Dyslexie oder Depressionen. Für einige sind soziale Interaktionen wie Nutzerinterviews viel anstrengender, als für neurotypische Personen. Penninah Jones von idealo hat einen Weg gefunden, ihren Arbeitsalltag als Researcherin mit ADHS für sich persönlich passend zu gestalten.
Warum sind ihre Learnings auch für neurotypische Personen interessant?
Die Anzahl an Fehltagen aufgrund von psychischen Erkrankungen steigt seit Jahren. Doch auch Personen, die sich nicht davon gefährdet sehen, schadet es nicht, mit ein paar Kniffen die User Research einfacher zu gestalten. Penninah stellte in ihrem Talk konkrete Tipps für die Bereiche Testing, Analyse und Dokumentation vor.
Testing-Tipps
- Verteile Nutzertests und Interviews auf 3 – 5 Tage mit maximal 3 Tests pro Tag
- Plane mehr als eine:n Moderator:in mit ein und integriere so andere Personen in die Research
- Nutze unmoderierte Tests, wenn möglich
- Gestalte standardisierte Klickdummies mit integrierter Aufgabenstellung, um weniger erklären zu müssen
Analyse-Tipps
- Stelle mit den Stakeholder:innen gemeinsam Hypothesen auf, um die Erwartungen deutlich zu machen und dich auf die wichtigsten Fragen zu konzentrieren
- Plane die Auswertung detailliert und binde dein Team mit ein. So arbeitest du strukturierter und du schiebst die umfangreiche Auswertung nicht so lange vor dir her
Dokumentations-Tipps
- Nutze auch bei der Dokumentation die zuvor aufgestellten Hypothesen, um die wichtigsten Insights zu erkennen
- Lege eine Tabelle für die Dokumentation und Auswertung an, in der du direkt die Aussagen der Testpersonen festhalten und vergleichen kannst
Insight #03: Secondary User Research wird unterschätzt
Secondary User Research wird laut Xenia Avezov, Researcherin bei Spotify, in der Nutzerforschung chronisch vernachlässigt. Das kann ich durch meine eigenen Erfahrungen auch nur bestätigen. Zur sekundären Nutzerforschung gehören das Interpretieren vorhandener Studien, Konkurrenzanalysen und Ergebnisse aus eigener Primärforschung – z. B. aus User Interviews und Tests. Gute Sekundärforschung hilft dabei, das Umfeld unserer Nutzenden richtig zu verstehen.
Warum wird sekundäre Nutzerforschung unterschätzt?
Zum einen wollen Stakeholder:innen häufig direktes Nutzerfeedback zu ihrem Produkt. Es geht schließlich nichts über ein gutes Zitat. Und zum anderen denken wir, was einfach zu erreichen ist, kann nicht so gut sein. Sekundärforschung muss eben im Vergleich zur Primärforschung nicht erst aufwendig erhoben werden.
“Start with Why” Bestseller von Simon Sinek
Konzentrieren wir uns jedoch nur auf Primärforschung, kann es passieren, sich zu sehr im Solution Space und zu wenig im Problem Space zu bewegen. Und laut Simon Sinek, Autor von “Start with Why”, sind Unternehmen und Produkte erfolgreicher, die mit dem “Warum” beginnen. Sekundärforschung hilft dabei, eine genauere Antwort auf das “Warum” zu finden und Probleme der Nutzenden holistisch zu verstehen. Soziale, ökologische und psychologische Faktoren können mitberücksichtigt werden. Diese ganzheitliche Herangehensweise ermöglicht auch eine fundiertere Primary Research. Durch die Kombination aus Sekundärforschung und Primärforschung können Researcher also die richtigen Fragen zur richtigen Zeit an die richtigen Leute stellen.