Stammdatenqualität und Softwareentwicklung
Dieser Artikel ist Teil einer Serie:
- Teil 1: Stammdatenqualität und Softwareentwicklung
- Teil 2: Entstehung und Auswirkungen von Legacy-Systemen
- Teil 3: Ablösung von COBOL-basierten Legacy-Systemen
Stammdaten beschreiben die grundlegenden Objekte eines Unternehmens oder eines Teilbereiches davon (z.B. einer Abteilung). Nur mit Hilfe von Stammdaten ist die Abwicklung des operativen Tagesgeschäfts und damit das Ausführen von (Geschäfts-)Transaktionen möglich. Umfang und Struktur der Stammdaten werden dabei durch den jeweiligen Geschäftsbetrieb definiert.
Warum ist Stammdatenqualität wichtig?
Qualität und Aktualität der im Unternehmen verwendeten Stammdaten haben großen Einfluss auf die Betriebsabläufe. Die Struktur der Stammdaten muss so gestaltet werden, dass alle für die operativen Abläufe notwendigen Informationen zur Verfügung stehen und diese IT-seitig zweckmäßig verarbeitet werden können. Um fehlerhafte Transaktionen und Reklamationen zu vermeiden ist es wichtig, dass sämtliche Daten einen höchstmöglichen Grad an Fehlerfreiheit und Vollständigkeit besitzen. Alle Akteure (z.B. Lieferanten, Kunden, Dienstleister) und Unternehmensobjekte (z.B. Produkte, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) müssen so modelliert sein, wie sie in den Geschäftstransaktionen tatsächlich benötigt werden.
Jedes Stammdatum ist einem Lebenszyklus von der Entstehung bis zur Löschung unterworfen. Einer der bekanntesten Begriffe eines solchen Lebenszyklus von Stammdaten ist das “Product Lifecycle Management”. Dieses beschreibt sämtliche Lebensphasen von Produkten — von der Entwicklung über die Marktreife bis hin zur potenziellen Einstellung. Gute Stammdaten-Software sollte diese Prozesse direkt abbilden können. Eine träge und ineffiziente Erfassung von benötigten Stammdaten eines Produktes kann sich negativ auf die Produkteinführungszeit (time-to-market) auswirken. Eine schnelle und effiziente Erfassung dieser Daten ist daher von enormer Wichtigkeit für jedes Unternehmen. Aus diesem Grund sollten die Schritte für den Nutzer in der Anwendung ersichtlich sein und der Anwender vom System bei der Erfassung der Daten geführt und unterstützt werden.
Auch im Bereich “Business Intelligence” ist es wichtig, dass Stammdaten in einer möglichst hohen Qualität vorliegen. Nur so bieten sie eine fundierte Grundlage für exakte Auswertungen der Geschäftsaktivitäten. Nicht selten werden strategisch wichtige Entscheidungen anhand von Berichten getroffen, die schlussendlich auf falschen Stammdaten beruhen.
Master Data Management
Der Vorgang zur Gewährleistung einer angemessenen Qualität und Aktualität der im Unternehmen “verwendeten Stammdaten” wird unter dem Begriff “Master Data Management” zusammengefasst. Darunter fallen operative und strategische Maßnahmen zur Bereinigung oder zur Vermeidung von Fehlern in den Stammdaten.
"Der Vorgang zur Gewährleistung einer angemessenen Qualität und Aktualität der im Unternehmen “verwendeten Stammdaten” wird unter dem Begriff “Master Data Management” zusammengefasst."
In vielen Unternehmen ist das “Master Data Management” bereits ein essentieller Bestandteil. Während der Begriff in der Vergangenheit größtenteils durch die IT getrieben wurde, verlagert sich die strategische Wichtigkeit dieses Begriffes immer weiter in die Gesamtorganisation. In der Capgemini Studie zu IT-Trends in 2015 ist der Begriff “Master Data Management” bei IT Trends gar auf dem ersten Platz.
Wechselwirkungen zwischen “Master Data Management” und Individualentwicklung im Enterprise-Umfeld
Die Art der Konzeption und Umsetzung von (individualentwickelter) Software kann hohe Auswirkungen auf die resultierende Datenqualität haben. Die Pflege von Stammdaten sollte möglichst zentral erfolgen. Für jeden Stammdaten-Typ sollte genau eine Anwendung verantwortlich sein. Zusätzlicher reiner Lesezugriff von weiteren Systemen ist hingegen unproblematisch und kann über entsprechende Services bereitgestellt werden. Das weitere Anreichern der Stammdaten kann bei Bedarf in fachabteilungsspezifischen Anwendungen erfolgen. Auch hier ist aber unbedingt zu vermeiden, dass in mehreren System ähnliche oder sogar gleiche Daten gepflegt werden.
Oft basieren digitalisierte Stammdaten-Anlageprozesse auf ursprünglich manuellen Vorgängen. Finden sich Entwickler in der Aufgabe wieder eine solche Anwendung zu konzeptionieren und entwickeln, sollten sie sich zunächst ein geschäftsfeld-übergreifendes Verständnis der Geschäftsprozesse aufbauen. Sie müssen verstehen, wie sich die Software in das Gesamtgefüge der Unternehmensarchitektur integrieren und im Tagesgeschäft verwendet werden soll.
Dabei ist vor allem die Abstraktionsfähigkeit der Entwickler gefragt, um die Anforderungen der Nutzer möglichst exakt und vor allem auch vollständig abzubilden. Insbesondere können seltene Ausnahmefälle die Umsetzung verkomplizieren oder sogar gefährden. Es ist daher enorm wichtig, das Wissen einzelner Akteure zu verstehen und die Ursachen für Abweichungen von Standards zu erkennen und ggf. auch zu hinterfragen. Wenn eine Abweichung vom Standardprozess unvermeidlich ist, muss die Struktur der Stammdaten so aufgebaut sein, dass entsprechende Bedingungen in der Software hinterlegt werden können. So werden Transaktionskosten bei der Abwicklung dieser Ausnahmen geringer und die Gefahr des “Vergessens” wird reduziert.
Einfache Beispiele für solche Ausnahmen sind:
- kunden-individuelle Wünsche, z.B. spezielle Anforderungen an Versandobjekte oder bestimmte Anlieferzeiten
- abweichende Produktions-/Vorlaufzeiten von Fabrikaten oder spezielle Lageranforderungen
"Sind die abzubildenden Prozesse stark von heterogenen Abwicklungen geprägt, kann dies ein deutlicher Anhaltspunkt für den Einsatz von individualentwickelter Software sein."
Sehr homogene Abläufe hingegen können zumeist auch mit Standardsoftware abgebildet werden.
Wie kann Software “Master Data Management” unterstützen?
Software zur Unterstützung von Geschäftsabläufen benötigt geeignete Validierungen zur Sicherung der Datenqualität. Daher ist einer der ersten Schritte die Identifikation von trivialen Constraints und Validierungen. Darunter fallen einfache Prüfungen auf Pflichtfelder oder auf Eindeutigkeit von Stammdatenfeldern. Im nächsten Schritt müssen dann objektübergreifende Gültigkeitsprüfungen identifiziert und umgesetzt werden.
Besonders die mehrfache Anlage von eigentlich gleichartigen Datensätzen stellt ein großes Problem dar. Die Identifikation von Stammdaten kann bei redundanten Einträgen deutlich erschwert werden, z.B. die eindeutige Identifikation von Kunden bei Vertriebsaufträgen über elektronische Schnittstellen wie EDIFACT. Als Ursache für nicht einheitlich vorliegende Daten kommen viele Szenarien in Frage, z.B. Datenduplikation durch dezentrale Datenhaltung (Anwendung pro Abteilung), Eigenbau-Anwendungen (“Schatten-IT”) oder auch das versehentliche Anlegen eines neuen Datensatzes.
Man kann zwischen bewusster und unbewusster Datenduplikation unterscheiden. Unbewusste Datenduplikation entsteht, wenn der Nutzer nicht erkennt, dass bestimmte Stammdaten bereits existieren und diese erneut anlegt. Dies kann softwareseitig durch geeignete Recherche-Funktionen zur Auswahl bestehender Stammdaten oder systemseitig durch Duplikatsprüfungen gelöst werden. Legt ein Anwender bewusst Duplikate im System an, erfolgt dies in der Regel um Einschränkungen des Systems zu umgehen. Exemplarisch dafür kann man sich einen Akteur vorstellen, der in mehreren Geschäftsbeziehungen auftritt, wie z.B. einen Geschäftspartner der sowohl Kunde als auch Lieferant ist. Hier muss geprüft werden, ob diese Daten in Verbindung gebracht werden müssen oder ob die Duplikation zweckmäßig ist.
Auch in ETL-Prozessen (Extract, Transform, Load) zur Befüllung von Data Warehouses werden Datenkorrekturen vorgenommen. In diesen Fällen sollte stets beachtet werden, dass diese Bereinigungen oft nur eine Zwischenlösung sein können. Die Daten oder Strukturen sollten möglichst bald auch in den operativen Systemen korrigiert werden, um Probleme im Tagesgeschäft zu vermeiden.
Fazit
Stammdaten sind ein essenzieller Bestandteil von Unternehmenssoftware. Bei der Entwicklung sollte möglichst die Gesamtorganisation betrachtet werden. Bei der Konzeptionierung von Stammdaten-Software muss geklärt werden, welche Daten bereits vorhanden sind, welche Daten neu gepflegt werden müssen und wie die Datenqualität aufrecht erhalten werden kann.
(Dieser Artikel wurde erstmals am 29.03.2017 veröffentlicht. Er wurde am 19.02.2021 aktualisiert.)