Wie gut ist der Flaschenpost-Deal für Münster?
Sebastian Köffer ist Geschäftsleiter des Digital Hub münsterLAND. Seiner Promotion am European Research Center for Information Systems (ERCIS) gingen Stationen bei Daimler und Siemens IT Solutions (jetzt ATOS) voran. Zudem ist er Projektleiter im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Lingen für die Geschäftsstelle Münster.
Machen wir uns nichts vor: In den deutschen Tech-Hotspots Berlin und München schenkt man Münster normalerweise nicht sonderlich Beachtung. Zweimal war das in letzter Zeit anders: Als Ministerin Karliczek die Stadt mit Batteriegeld überhäufte und nun durch den Flaschenpost-Deal. Beim größten deutschen Start-up-Exit des Jahres kommen sowohl Käufer als auch Verkäufer aus Westfalen.
Zwei Fragen werden mir seitdem oft gestellt:
- Warum legt jemand so viel Geld für ein derzeit nicht profitables Unternehmen auf den Tisch?
- Inwiefern ist dieser Deal gut für Münster?
Frage 1 hat Michael hier im Blog ausführlich beantwortet. Ich möchte mich der 2. Frage widmen. Was genau ist für Münster dabei drin? Ich sehe fünf Faktoren.
1) Was passiert mit dem Büro-Standort?
Mit der Übernahme durch Dr. Oetker geht die Fusion mit Durstexpress einher. Durstexpress ist Oetkers Copycat, die seit 2017 mit inzwischen ca. 2.500 Mitarbeitern und Hauptsitz Berlin das Flaschenpost-Geschäftsmodell kopiert. Wie bei Fusionen üblich, ist auch hier der Abbau von Stellen in den Zentraleinheiten wahrscheinlich. Die Frage stellt sich, ob dieser Abbau vermehrt in Berlin oder Münster erfolgt.
"Wie bei vielen Copycats, ist ein Abbau von Stellen wahrscheinlich - die Frage ist nur, ob dieser vermehrt in Berlin oder Münster stattfinden wird."
Für Münster sprechen die gute Bewerbersituation am Hochschulstandort, insbesondere in den für Flaschenpost wichtigen Bereichen Einkauf, Geschäftsentwicklung und Personal. Berlin punktet mit einer größeren Tech-Szene und einem internationalen Bewerbermarkt. Es spricht viel dafür, dass beide Standorte parallel Sinn ergeben. Für Münster wäre es natürlich vorteilhaft, wenn der Standort weiter wächst und vor allem auch die wesentlichen Entscheider in Münster verbleiben.
2) Wird das neue Flaschenpost/Durstexpress Unternehmen erfolgreich?
Flaschenpost und Durstexpress nutzten Getränkelieferung als Nische, um in den viel größeren Markt der Lebensmittellieferung einzutreten. Es ist völlig klar, dass es nicht bei Getränken bleibt. Flaschenpost hatte kurz vor der Übernahme viele weitere Lebensmittel ins Portfolio aufgenommen.
Auch die Mitnahme von sonstigen Paketen oder Retouren wäre denkbar. Flaschenpost und Durstexpress verfügen über den Kundenzugang, den es dazu braucht. Ein Rebranding weg vom reinen Getränkelieferdienst ist sicher nicht auszuschließen. Ob das erweiterte Geschäftsmodell langfristig profitabel funktioniert, ist allerdings keinesfalls sicher.
"Startet das Geschäftsmodell mit der Übernahme richtig durch, könnte Flaschenpost mittelfristig zum umsatzstärksten Unternehmen in Münster aufsteigen."
Für Münster hängt an dem Erfolg des Unternehmens vor allem dann viel, wenn der Hauptstandort bleibt. Startet das Geschäftsmodell mit der Übernahme richtig durch, könnte Flaschenpost mittelfristig zum umsatzstärksten Unternehmen in Münster aufsteigen, viele Arbeitsplätze schaffen, viel Gewerbesteuer zahlen, weitere Talente in der Region halten und neue Talente anlocken.
3) Was passiert mit den Talenten?
Immer mehr Personen suchen nach dem Studium eine Stelle in einem Start-up-Unternehmen. Doch nur wenige Start-ups in Münster befinden sich in späteren Entwicklungsphasen, um breit Fachkräfte einzustellen. Junge Start-ups in Münster suchen fast ausschließlich Bewerbende im Bereich Software-Entwicklung. Darüber hinaus werden nur Praktika angeboten. Bei Flaschenpost gab es hingegen in der Zentrale auch viele andere Job-Profile. Das hat Talente angezogen und in der Stadt gehalten, sowohl auf Einstiegslevel als auch im Management.
"Die Re-Organisation von Flaschenpost könnte dazu führen, dass Talente auf den Markt kommen und für andere Unternehmen in Münster interessant werden."
Die Re-Organisation könnte dazu führen, dass Talente auf den Markt kommen und für andere Unternehmen in Münster interessant werden. Ein gutes Beispiel ist die Liquidation des Münsteraner Start-ups Grünspar im Jahr 2018. Viele ehemalige Grünspar-Mitarbeitende sind auch heute noch sehr umtriebig in der lokalen Digital- und Start-up-Szene Münsters. Sie gründen neue, investieren in Start-ups oder leiten Innovationsaktivitäten in Unternehmen.
4) Was macht das Gründerteam?
Sowohl Gründer Dieter Büchl als auch das Management-Team sollen laut Medienberichten viel Geld vom Tisch nehmen. In der Start-up-Szene erhofft man sich nun neue Investments in aufstrebende Start-ups. Es wäre allerdings vermessen anzunehmen, dass nach regionalen Gesichtspunkten nur in Münster investiert wird. Zudem stellt sich die Frage, ob das Management an Bord bleibt und eventuell sogar Anteile am Unternehmen behält. Ein Beispiel ist der Trivago-Exit an Expedia in Düsseldorf aus dem Jahr 2012. Die drei Gründer behielten 40% der Anteile, führen das Unternehmen bis heute und gründeten parallel eine Beteiligungsgesellschaft, um in B2C-Start-ups zu investieren. Auch in Münster wird man mit einem Beispiel fündig.
"In der Start-up-Szene erhofft man sich nun neue Investments in aufstrebende Start-ups. Es wäre allerdings vermessen anzunehmen, dass nach regionalen Gesichtspunkten nur in Münster investiert wird."
2015 kaufte McKinsey das Start-up 4tree. Die beiden Gründer Sebastian Hanhues und Reiner Kurzhals blieben nach dem Verkauf zunächst im Unternehmen, gründeten aber Jahre später neue Start-ups in Münster mit der 1648 Factory und dem Westphalia Datalab. Sicher ist: Junge Start-ups lernen von erfahrenen Start-ups. Einzelne Mitglieder des Flaschenpost-Managements engagieren sich bereits in Münster und stehen weiter als Ratgeber und Kontaktvermittler für junge Start-ups zur Verfügung.
5) Was ist der Einfluss auf das Image der Stadt Münster?
Erfolgreiche Start-up-Exits sind ein wichtiger und notwendiger Meilenstein einer Region auf dem Weg zu einem erfolgreichen Start-up-Ökosystem. Ich denke, dass dieser Erfolg viel mehr Inspiration und Motivation für den Start-up-Gründungsgeist in der Stadt liefern (sic!) wird als jede wirtschaftsfördernde Maßnahme erreichen kann.
Natürlich ist all dies nicht messbar. Der zuvor angesprochene Trivago-Exit wird aber selbst acht Jahre später von Wirtschaftsförderungen als Beleg für den großen Talentpool im Rheinland vorgebracht. Diese Broschüren müssen jetzt wohl auf Westfalen erweitert werden. Denn der Flaschenpost-Deal strahlt meines Erachtens weit über Münster hinaus und macht deutlich: In allen Flächenregionen Deutschlands können sich Start-ups aufmachen, wenn das Geschäftsmodell stimmt.
Häufig höre ich in Münster immer noch das Argument, dass Risikokapital für Start-ups hier nur schwer zu bekommen sei. Flaschenpost hat all das endgültig widerlegt und zudem gezeigt, dass auch die räumliche Nähe zu passenden Unternehmen einen „unfairen Vorteil“ bieten kann.
"Häufig höre ich in Münster immer noch das Argument, dass Risikokapital für Start-ups hier nur schwer zu bekommen sei. Flaschenpost hat all das endgültig widerlegt."
Fazit
Es ist ein Stück weit bezeichnend für Deutschland, dass der größte Start-up-Exit des Jahres nicht etwa irgendein KI / Blockchain / Big Data oder was auch immer Hype-Thema ist, sondern schlicht und einfach ein Getränkekistenlieferant mit schlauer Strategie und intelligentem Kürzeste-Wege-Algorithmus. Diese Bodenständigkeit passt nach Westfalen wie die Stippmilch zum Pumpernickel. Ich bin überzeugt, dass der Flaschenpost-Deal viele Vorteile für Münster bringen wird, die sich größtenteils erst mittelfristig entfalten werden. Es sind allerdings auch Szenarien denkbar, wo einiges an Know-How und Arbeitsplätzen aus Münster abfließt. Es bleibt also spannend!
Einige sehen im Flaschenpost-Deal auch ein Signal für den Mittelstand, mehr in Start-ups zu investieren. Das stimmt meines Erachtens aber nur zum Teil, denn Dr. Oetker wäre den Kennzahlen nach eigentlich ein DAX-Kandidat. Dennoch zeigt sich, welche Chancen Großunternehmen wie Dr. Oetker in der Übernahme von Start-ups sehen. Regionale Nähe kann hier zusätzlich Vertrauen schaffen. Wenn der Deal dazu führt, dass auch mehr Unternehmen aus dem Münsterland mit Start-ups kooperieren, wäre das ein echter Mehrwert mit weiteren Vorteilen für die gesamte Region.