Eine lebendige Marke für SignDict
Das Wichtigste zuerst: Du könntest einfach SignDict.org besuchen, dich registrieren, die Marken in Aktion sehen und ganz nebenbei noch die Basics der Gebärdensprache lernen (was super toll wäre, weil wir so Kommunikationsbarrieren abbauen und Gehörlose besser ins soziale Miteinander integrieren können). 👍🏼
Wer nur scharf auf bunte Bilder von Entwürfen ist, der kann gerne weiter nach unten scrollen, verpasst dann aber den ganzen Spaß, alles über den Prozess hinter dem Ergebnis zu erfahren. ⏬ 👀
Noch hier und neugierig, wie das Projekt abgelaufen ist und wie man eine Marke für eine digitale Non-Profit-Organisation aufbaut, die jeden zum mitmachen einlädt? 🤔 Alles klar, dann hier geblieben, denn jetzt geht es los:
Wie es begann
Im Februar 2017 sahen wir einen Tweet von Bodo Tasche, den wir aus der Rails-Szene kennen, in dem er nach Unterstützung bei einem Logo für sein offenes Wörterbuch für Gebärdensprache fragte.
"We started to brainstorm a logo for the project. Want to join the discussion? Go here: https://t.co/JmKnmvEsyC"
— signdict (@signdict) February 28, 2017
Nach einigen wenigen Klicks auf der bis dahin bestehenden Website war für uns klar, dass SignDict ein großartiges Projekt ist, das wir gerne unterstützen wollten. Nicht mit einem Logo, sondern mit einer Marke – eine Marke ist mehr als ein Logo, aber das wäre einen anderen Blogpost wert. Also nahmen wir Kontakt zu Bodo auf – über Twitter, versteht sich – und hatten keine 10 Minuten später einen Video-Anruf mit ihm, um das Projekt kennenzulernen.
Was ist SignDict
SignDict ist ein offenes Wörterbuch für Gebärdensprache zum Mitmachen. Fehlt eine Gebärde, so kann jeder Nutzer sie einfach per Webcam aufnehmen und hochladen. Durch diesen Community-Ansatz soll ein vollständiges Nachschlagewerk zur deutschen Gebärdensprache entstehen, dass Gebärdensprache in seiner lebendigen Vielfalt zeigt (das es Dialekte in der Gebärdensprache gibt, wussten wir vor Projektbeginn auch nicht).
SignDict wird vom Prototype-Fund, einer Förderungsinitiative für gemeinnützige Open-Source-Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, unterstützt.
Recherche
Begeistert von der Projektidee und Bodos erstem Input starteten wir mit der Recherchephase, mit der jedes Designprojekt beginnt. Ziel dieser Phase ist es, überhaupt erst ein klares Bild von der Aufgabenstellung zu gewinnen, die man lösen möchte. Denn häufig ist das, was als Problem angenommen wird gar nicht das eigentliche Problem, sondern nur ein Symptom eines tieferen Problems. Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach, wenn man etwas hartnäckig immer weiter fragt und neugierig bleibt.
Für wen eigentlich?
Zunächst haben wir uns ein klares Bild der Zielgruppe und deren Lebenswelt gemacht:
- für wen gestalten wir
- an welche Werte glauben unsere Nutzer
- mit welchen Herausforderungen sehen sie sich konfrontiert
- von welcher Überzeugung sind sie angetrieben
Marken entstehen dort, wo sich Überzeugungen der Nutzer und der Marke überschneiden. Marken werden stark, wenn sie für eine klare Vision einstehen, mit der sich ihre Nutzer identifizieren können.
Ausgrenzung und Vorurteile
Gehörlose sehen sich im Alltag in einer mehrheitlich hörenden Gesellschaft häufig mit unbeabsichtigter Ausgrenzung und Sprachbarrieren konfrontiert: von fehlenden Untertiteln im Fernsehen bis hin zu existenziellen Kommunikationsproblemen in Notfallsituationen. Die Gebärdensprache gibt daher ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit, denn wo man von allen verstanden wird und alles versteht, da gehört man hin.
Gebärdensprache ist, entgegen aller Vorurteile, eine ebenso lebendige Sprache, wie die gesprochene Sprache auch:
- Sie verfügt über eine eigene Grammatik, die stark von der der Laut- und Schriftsprache abweicht.
- Sie unterscheidet sich von Land zu Land, oder sogar von Region zu Region.
- Sie verfügt über einen sich stetig entwickelnden Gebärdenschatz.
- Sie ist, für von Geburt an Gehörlose, die Muttersprache, in der gedacht und geträumt wird.
Da sich die Grammatik der Gebärdensprache (Gebärdensprache gehört zu den stark flektierenden oder agglutinierenden Sprachen, um ganz genau zu sein 🤓) jedoch stark von der der Laut- und Schriftsprache unterscheidet, haben Gehörlose mitunter starke Probleme beim Erlernen dieses für uns so alltäglichen Kommunikationsmittels. Und auch mit dem Lippenlesen ist es nicht so einfach. Viele Laute haben ähnliche Mundbilder, wie zum Beispiel M, B und P oder G, K und N. Letztlich sind also gerade mal 15% der deutschen Lautsprache eindeutig von den Lippen abzulesen, der Rest muss aus dem Kontext erschlossen werden.
Vision
Die Ausgrenzung Gehörloser im gesellschaftlichen Miteinander ist vor allem auf fehlendes Bewusstsein gegenüber deren Situation zurückzuführen. Gestärkt durch dieses Problemverständnis erarbeiteten wir zusammen mit Bodo, der selbst als Kind gehörloser Eltern aufgewachsen ist und somit eine starke Überzeugung mit in das Projekt trägt, eine klare Vision für die Marke SignDict.
"Wir wollen die Integration von Gehörlosen in die Gesellschaft fördern, indem wir dem Wissensaustausch zur Gebärdensprache eine offene Plattform geben, mit Vorurteilen aufräumen und für die Situation Gehörloser in einer hörenden Mehrheit sensibilisieren."
Was macht SignDict einzigartig?
Zwar gibt es schon Online-Wörterbücher für Gebärdensprache, aber SignDict ist als Mitmach-Wörterbuch einzigartig: Ein Wörterbuch von der Community, mit dem Ziel die Vielfalt lebendiger Gebärdensprache festzuhalten und zu einer vollständigen und authentischen Ressource zu werden, die vom aktiven Austausch seiner Nutzer geformt wird.
Authentisch: SignDict ist Teil der Community
Vertrauenswürdig: SignDict ist ein verlässliches Nachschlagewerk
Lebendig: SignDict lebt vom aktiven Austausch seiner Nutzer
So weit so gut, doch der richtig spannende Teil liegt noch vor uns.
Wie gestaltet man eine Marke, als Teil einer lebendigen Community?
Ziel des Brand-Designs ist es, den Kern einer Marke in eine visuelle Formsprache zu übersetzen. Kern von SignDict ist die Community. Die gestalterische Herausforderung ist damit die visuelle Repräsentation einer lebendigen Community, die durch ihre Werte und Überzeugungen vereint ist. Also begannen wir zu skizzieren.
Nachdem wir alle gängigen Klischees (Hände im Logo) aus unserem System gestrichen hatten, entwickelten wir zwei distinkte Ansätze, die wir mit Bodo abstimmten:
Eine visuell experimentellere Variante, die durch ineinander verlaufende Farben das Miteinander der Community in den Vordergrund stellt und die Verbindung der Welten von Hörenden und Gehörlosen symbolisiert.
Und einen sehr geradlinigen Ansatz mit einem stilisierten Lesezeichen als Logo und einer Wörterbuch-Farbwelt, die durch den akzentuierenden Einsatz von Türkis aufgebrauchen wird und vor allem die Verlässlichkeit und Authentizität der Marke in den Vordergrund stellt (Türkis ist eine Erkennungsfarbe für Gehörlose).
In der gemeinsamen Diskussion mit Bodo kamen wir zu dem Ergebnis, dass der geradlinige Ansatz langfristig einfacher einzusetzen ist und durch seine Klarheit mehr Flexibilität bietet. Die grobe visuelle Richtung für SignDict war also festgelegt und während Bodo weiter an der technischen Umsetzung der Platform arbeitete, hieß es für uns: Zurück zu den Skizzen, um unsere Entwürfe zu einem stringenten visuellen System auszubauen.
Ein Logo, das jeder malen kann
Mit unseren Entwürfen hatten wir eine Lösung gefunden, die einfach einzusetzen ist und durch ihren grafischen Stil den sozial-transformativen Anspruch der Marke angemessen transportiert. Was hier jedoch fehlt, ist die Repräsentation der Community, dem Herz von SignDict.
SignDict ist keine Marke, die von einer zentralen Stelle aus Kommunikation aussendet. SignDict ist von der Community für die Community und somit selbst Teil der Community. SignDict gehört seinen Nutzern und wird von ihnen geformt. Daher entwickelten wir die Idee, dass jeder Nutzer auf Basis des stilisierten Lesezeichens sein eigenes Logo zeichnen soll. Ebenso, wie jeder Mensch ein Wort etwas anders ausspricht und betont oder eine Gebärde etwas anders ausführt, entstehen so ganz persönliche Logovarianten.
Das Lesezeichen wird zur Repräsentation des Wörterbuches, die individuellen Varianten des Logos zum Ausdruck einer lebendigen Community.
Eine lebendige Marke
Auf Basis dieser Ideen entwickelten wir einen Styleguide für die Marke, in dem wir neben den Logoprinzipien das Farbschema, die illustrative Bildsprache und typographische Anwendungen grob definiert haben.
Eine Marke ist etwas Lebendiges – vor allem eine Community-getriebene Marke. Im Brand-Design-Prozess entwickelt man gewissermaßen die visuelle DNA einer Marke: Es muss nicht immer zwingend das gleiche Layout sein. Es muss sogar nicht jedes Mal das Logo zu sehen sein. Eine Marke bleibt auch dann noch als Marke zu erkennen, wenn mehrere Komponenten dieser Marken-DNA (wie Schrift, Farbe, Layoutprinzipien und Formsprache) zusammen auftreten: So ermöglicht man einer Marke sich wie ein lebendiger Organismus zu wandeln ohne dabei die eigene Identität zu verlieren.
SignDict versteht sich nicht nur als Wörterbuch, sondern fordert und fördert vor allem die bessere Integration von Gehörlosen ins soziale Miteinander. Daher entwickelten wir eine einfache, klare, gerade, plakative und illustrative Formsprache.
Angelehnt an die Formsprache entstanden Vorschläge für die kommunikative Anwendung der Marke: Klar, mit einfachen Worten und hier und dort mit einer Prise Humor angereichert.
Ein dickes Dankeschön
Bevor ich diesen Artikel zum Abschluss bringe, möchte ich mich noch bei Bodo für die Freiheiten bedanken, die wir im Projektverlauf hatten, und freue mich, mit dir gemeinsam zu einem guten Ergebnis gekommen zu sein:
"Zweitag hat zusammen mit mir ein Design und das Logo erarbeitet. Ich habe selten eine so angenehme Zusammenarbeit bei einem Design-Prozess erlebt."
— Aus dem SignDict April Newsletter
Es war uns ein Vergnügen dich bei diesem großartigen Projekt zu unterstützen und sind schon gespannt, wie es mit SignDict weitergehen wird.
An alle Leser, die den Atem hatten, diesen Artikel ganz zu lesen: Danke, dass ihr mir eure Aufmerksamkeit geschenkt habt! 😘😘😘
Noch Fragen? Oder eine ähnliche Herausforderung?
Dieses Projekt wurde von Lucas Nolte koordiniert. Lucas E-Mail-Adresse ist lucas.nolte@zweitag.de. Er beantwortet gerne weitere Fragen zu diesem oder anderen Designprojekten. 👋👋👋